Kulturveränderung ist gratis und andere Einsichten eines Systems Thinkers

Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung dieses für mich sehr inspirierenden und lehrreichen Vortrags von John Seddon – „Culture change is free“:

Der Kontext ist die Struktur von Organisationen, die eine Dienstleistung erbringen. John Seddon bringt viele Beispiele, die meisten von Ihnen aus dem öffentlichen Sektor – Behörden ähnlich den Jugendämter oder Wohnungsämter in UK und einige Beispiele aus großen Unternehmen wie der British Telecom. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Anwendung von Systems Thinking im öffentlichen Bereich sehr viel Mehrwert für das Gemeinwohl schaffen kann. Ich habe selbst einmal als Praktikant in einer Unternehmensberatung eine öffentliche Einrichtung mit 1300 Angestellten bei einer Transformation begleiten dürfen. Nach diesem Video verstehe ich die vielen Denkfehler, die wir damals gemacht haben.

Öffentliche Organisationen als Dienstleistungserbringer

Ein Systems Thinker schaut auf eine Organisation als ein System – innere Welt – welches verschiedene Dienstleistungen für die äußere Welt erbringt. Das Erbringen dieser Dienstleistungen schafft Wert, z.B.:

  • Es wird positiv oder negativ über einen Antrag auf Wohnungsgeld, Hartz IV, etc. entschieden und entsprechende Bescheide werden erstellt.
  • Es wird ein neuer Personalausweis ausgestellt.

Was sollte man managen?

Am Anfang spricht Seddon darüber, auf was sich typischerweise Manager konzentrieren – disziplinarische Führungsverantwortung gegenüber ihren Untergebenen. Sie lernen wie man am besten ein Personalgespräch führt und über Ziele spricht. Wenn man sie danach fragt, wie sie die Leistung ihrer Mannschaft verbessern, ist die typische Antwort: Sie untersuchten die Leistungsfähigkeit ihrer Leute nach verschiedenen Kriterien, belohnten die Guten und suchen nach Wegen die weniger Guten zu unterstützen. Alles richtig oder?

Aus dem Blickwinkel eines Systems Thinkers ist das eine nicht effektive Strategie, denn 95% der Performance eines Systems hänge nicht von den Agenten (also Personen) im System ab, sondern von der Beschaffenheit des Systems selbst. Leistung der Einzelnen habe nur 5% mit der Performance des Gesamtsystems zu tun. Der effektivere Fokus eines Managers wäre auf der Systembeschaffenheit.

Ich habe diese Erfahrung auch schon sehr häufig in Unternehmen gemacht. Einzelne Mitarbeiter werden für Ihre Leistungen gerügt oder hochgepriesen. Und dann macht das Unternehmen ein Experiment, zum Beispiel ein Hackathon. Für kurze Zeit gelten ganz andere Systemregeln und plötzlich verhalten sich alle ganz anders und die Performance des Systems ist völlig anders.

Erlernen des Systemfokus

Seddon spricht auch über die grundsätzlichen Schritte, die er mit Managern gehen würde, um ihnen beizubringen das eigene System zu sehen.

  1. Erstelle Charts über empirisch messbare Größen, wie Bearbeitungsdauern, Anzahl von Kontakten etc. je Fall und untersuche die Abhängigkeit dieser Größen von verschiedenen Faktoren. Dabei sollten viele bereits sehen, dass die Quelle für die Variabilität unabhängig von den Bearbeitern sind.
  2. Beobachte der Arbeit, wo sie stattfindet und gehe einzelnen Fällen nach, um die Quellen von Variabilität zu verstehen. Nebenbemerkung, das wird im Toyota System – Gemba – genannt.
  3. Identifiziere die häufigsten / wichtigsten Treiber von Variabilität und gehe zum Ort wo die Arbeit stattfindet und konzentriere Dich darauf diese Variabilität zu reduzieren. Beobachte wie die Kosten je Fall runtergehen.

Optimieren eines Systems

Seddon spricht dann über die grundsätzlichen Schritte der Optimierung eines Systems.

Verstehe die Nachfrage: Welche Arten Dienstleistungen werden angefragt und in welcher Häufigkeit. Verstehe und klassifiziere diese Nachfrage aus den Augen deiner Kunden nicht von Innen heraus.

Fertigkeiten/Lernen:  Bringe deinen Mitarbeitern bei, wie sie die häufigsten Dienstleistungsanfragen zu erkennen und vollständig zu bearbeiten. Zusätzlich bring Ihnen bei zu erkennen, wann die Anfrage nicht zu erlernten passt und wo sie sich dann Hilfe holen können. Stelle sicher, dass Experten für diese Arten von weniger häufigen Anfragen zur Verfügung stehen. Stelle danach deine geschulten Mitarbeiter direkt als erste Ansprechstation für die Kunden auf. Auf diese Weise werden deine Mitarbeiter automatisch die Fähigkeiten lernen, die gebraucht werden. Es wird von allein der richtige Mix an Fertigkeiten und Strukturen sich ausbilden, der zur Nachfrage von Außen am besten passt.

Seddon spricht viel darüber wie viel Verschwendung dadurch entsteht, dass viele Organisation sich in Frontdesk und Backoffice aufteilen. Eine Unterscheidung, die auch ich schon sehr oft erlebt habe. In IT Arbeit ist das die Parallele zur Arbeit in Komponenten-Teams.

Saubere Übergabe: Die (wenigen) Anfragen, die nicht direkt am Anfang bedient werden können gehen in einen Fluss über. Stelle sicher, dass die Mitarbeiter, welche die Anfrage entgegennehmen wissen, was für die nachfolgenden Mitarbeiter ein vollständiges „sauberes“ Arbeitspaket ist, mit dem sie, ohne weitere Feedbackschleifen mit dem Kunden zu brauchen, arbeiten können. Das passiert am besten in dem man sie miteinander sprechen lässt.

Eine Unterscheidung bei der Nachfrage ist noch wichtig. Es gibt Nachfrage, die aus einem Bedürfnis deiner Kunden entsteht – value demand – und es gibt Nachfrage, die vor allen aus den Fehlern deines Systems aus der Vergangenheit entsteht – failure demand. Ist die zweite Art von Nachfrage hoch, z.B. 50%, dann muss man sich damit auseinandersetzen, was die vorhersagbaren Quellen der Fehler sind und diese Eliminieren.

Stelle KEINE Ziele auf: Zu den Zielen später noch mehr. Seddon weist an dieser Stelle darauf hin, dass alle künstlich erdachten Ziele/Messwerte aus Perspektive des Systems immer hinderlich sind und bringt viele Beispiele.

Wahrheiten eine Systems Thinkers

  1. Kostentreiber sind nicht einzelne Aktivitäten sondern der Gesamtfluss. Zum Beispiel macht es für die meisten Unternehmen keinen Sinn Arbeitsschritte nach Übersee auszulagern um Kosten der Bearbeitung einzelner Aktivitäten zu minimieren, denn die Auslagerung führt zu viel mehr Transaktionen im Flow.
  2. Standardisierung erzeugt Verschwendung. Verschwendung kommt häufig in Form von Demotivation von einseitig genutzten Fähigkeiten der Mitarbeiter, mehr Transaktionen, weniger übernommener Verantwortung durch Mitarbeiter, mehr Stress und höherer Fluktuation. Das System sollte stattdessen so beschaffen sein, dass es sich der Nachfrage anpasst und die Verantwortung für diese Bedienung der Nachfrage-Fälle bei den Mitarbeitern belässt.
  3. Ziele sind hinderlich. Statt den bekannten Kriterien – SMART (Specific, Measurable, Achievable, Realistic, Time bound) schlägt er die Abkürzung DUMB vor – Distorting, Undermining, Ministerially implied, Bullocks.
    1. Künstliche Ziele sind künstliche Rahmen nicht der Rahmen einer echten Kundenanfrage. Sie verhindern Innovation. Diese passiert immer dort wo Menschen mit echten Problemen konfrontiert werden und die Mittel haben, diese zu lösen. Statistiken würden zeigen, dass Menschen dann härter arbeiten und viel weniger Stress spüren.
    2. Es gibt keinen guten Weg Ziele zu definieren. Woher weiß man was ein gutes Ziel ist?
    3. Messwerte sollten immer empirisch sein und den Mitarbeitern selbst dienen.

  4. Kulturveränderung bekommt man gratis , wenn man das System verändert. Häufig werden Mitarbeiter zu Kultur- oder Empowering-Initiativen geschickt, haben dort Spaß und kommen zurück ins Unternehmen um wieder genau so wie vorher zu arbeiten. Warum? Das System hat sich nicht geändert und sie haben nicht die Macht das System zu verändern. Das kostet viel Geld, verbrennt Hoffnungen.

Quelle der verwendeten Bilder ist wie immer pixabay.com – alles Public Domain

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