Kanban – Was ist das?

Agile Softwareentwicklung? Projektmanagement? Online-Tool?

„Wir machen jetzt Kanban.“ Mit diesem Satz verbinden wir häufig zwei Dinge:

  1. „Ah, die alternative agile Arbeitsweise zu Scrum.“
  2. Zahlreiche bunte Haftnotizen. Dazu eine leere Wand, eine Moderationstafel oder eine Fensterscheibe, die mit Klebeband in Spalten unterteilt wurde, um die Haftnotizen nach „Zu erledigen“ „In Arbeit“ und „Erledigt“ oft auch „Wartet“ oder „Blockiert“ zu unterscheiden. Seit der Pandemie denken wir häufiger als vorher an entsprechende Softwarewerkzeuge, um Tickets für Arbeit in Spalten darzustellen.

Die Kanban-Methode geht hingegen weit über diese Art von „Kanban-Board“ hinaus. Ein echtes Kanban-Board geht deutlich weiter. Es ist die visuelle Repräsentation eines ganzen Kanban-Systems. In diesem kommen neben der visuellen Darstellung von Arbeit auch die anderen Kanban-Praktiken zum Einsatz.

Nur durch die Mechanik des Zusammenwirkens der Praktiken kann sich die Wirkung von Kanban überhaupt entfalten. Dafür ist auch wichtig, dass sich die Visualisierung der Arbeit weniger an Aufgaben und mehr am Prozess orientiert.


Das geht oft unter, wenn immer mehr Online-Toolhersteller versprechen, sie können jetzt auch Kanban und damit doch nur wieder die Darstellung von Arbeit in Spalten meinen.

Tafel mit ToDo, In Progress und Done Spalten.

Laut offizieller Definition ist das noch kein Kanban-Board.

Definition von Kanban

Kanban wird heutzutage meistens in einem Atemzug mit anderen agilen Ansätzen genannt. Der Begriff stammt aus dem Japanischen. Kanban bedeutet so viel wie (Signal-)Karte, Schild oder Tafel. Das entsprechende Schriftzeichen findet man auch im Chinesischen. Dort bedeutet es in etwa „auf die Tafel schauen“.

Die ersten bekannten Kanban-Systeme wurden in Japan von Taiichi Ohno, entwickelt. Er gilt Erfinder des Toyota-Produktionssystems als Methode zur Steuerung der Produktionsprozesse nach einem pull-basierten Arbeitsfluss-System.

Alltags-Beispiele für Kanban

In Japan arbeiten zum Beispiel Parks, die besonders zur Blütezeit der Yoshino-Kirschbäume einen hohen Besucherandrang erleben mit einer einfachen Kanban-Praktik: Am Eingang erhalten die Besucher eine Besucherkarte, die sie beim Verlassen des Parks wieder abgeben müssen. Die Anzahl dieser Karten ist begrenzt. Sind alle Karten im Umlauf, müssen neue Besucher am Parkeingang warten bis wieder Karten zurückgegeben wurden. So wird eine Überlastung der Parks vermieden und eine angenehme Erfahrung der Menschen, die den Park besuchen, sichergestellt.

Blühender Ast eines Kirschbaums
Während der Yoshino-Kirschblüte stellen Kanbans sicher, dass der Park nicht überfüllt wird.

Das gleiche Prinzip steckte in der Pandemie hinter der Politik vieler Supermärkte, nur noch Besucher mit einem Einkaufswagen hereinzulassen. Auf diese Weise wird automatisch gewährleistet, dass nur die maximale erlaubte Anzahl von Kunden im Geschäft ist.

Übertragen auf Kanban-Boards mit Tickets, z. B. in der IT wird deutlich: Die Karten auf einem Board sind nicht die „Kanbans“, also das Signal, ob freie Kapazität vorhanden ist.

Kanban in der IT

Die Kanban-Methode entstand in der Softwareentwicklung bei Motorola, Microsoft und Corbis (damals im Besitz von Bill Gates). Sie ist eine Adaption der Kanban-Systeme nach Taiichi Ohno, die auch heute noch in der schlanken Serienfertigung eingesetzt wird. Inzwischen wird Kanban erfolgreich für verschiedenste Arten von Wissensarbeit und Dienstleistungserbringung auch außerhalb der IT eingesetzt, insbesondere wenn agiles Produkt- oder Projektmanagement umgesetzt oder eingeführt werden soll.

Agile mit Kanban?

Ein erster Aha-Effekt tritt regelmäßig auf, wenn auf einem echten Kanban-Board der Prozess und die gerade geleistete Arbeit als Kanban-System visualisiert werden.

“Ich hatte schon immer den Eindruck, dass wir viel zu viel Zeit in Aufwandsschätzungen für geplante Projekte stecken!”

“Endlich sieht man “schwarz auf weiß”, wie viele unserer Aufgaben durch Abhängigkeiten zu anderen Abteilungen blockiert sind.”

“Kein Wunder haben wir keinen Fokus, wenn wir auf so vielen Hochzeiten tanzen – mit einem Team von 5 Personen.”  

Der nächste Klick-Moment entsteht, wenn wir beginnen, die Menge an Arbeit zu begrenzen, die entlang eines ganzen Prozesses durch ein Team oder mehrere Teams gleichzeitig bearbeitet wird (Work In Progress).
Der Fokus verschiebt sich von dauernden Aufgabenwechseln auf das Abschließen von angefangener Arbeit. Neue Arbeit wird erst begonnen, wenn alte Arbeit beendet wurde. Ja, Arbeit altert. Und es gibt Metriken, Charts und Wege, darüber Arbeit zu steuern, Kanban (Projekt-)Management.

Hier holen Teams ihre Arbeit (Pull-Prinzip), anstatt dass weiter neue Aufgaben in das Arbeitssystem gedrückt werden, obwohl alte Arbeit längst nicht abgeschlossen ist und noch so viel angefangene Arbeit vor dem Flaschenhals im Prozess sitzt, dass neue Aufgaben keinerlei Chance haben, fertig zu werden.

So haben Menschen wieder eine Chance, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, gemeinsam Qualität zu erzeugen und sich auch der Verbesserung ihres Arbeitssystems – Schritt für Schritt – zu widmen. Mit weniger Stress und Überstunden wird mehr erreicht.

Planning mit Kanban hilft auch besser, auf sich ändernden Anforderungen zu reagieren und nicht-planbare Arbeit zu steuern. So hilft Kanban Teams und Organisationen agiler zu werden.

Ziel der Kanban-Prinzipien

Ziel von Kanban: Ein System in Balance

Die Kanban-Methode beschreibt verschiedene Prinzipien und Praktiken im Projekt- und Arbeitsmanagement, die in der Praxis wiederholt beobachtet wurde und deren Wirkweise nachvollziehbar. Ihnen allen ist gemeinsam, dass ein hohes Gleichgewicht zwischen (Kunden-) Anforderungen und (Geschäfts-) Fähigkeiten erreicht wurde.

Organisationen, in denen dieses Gleichgewicht gestört ist, leiden meist an einer überlasteten und unproduktiven Belegschaft, schlechter Qualität, unzuverlässigen Vorhersagen, verspäteten Lieferungen, fehlender Zeit für Innovationen und dadurch an verpassten Geschäftsgelegenheiten.

Kanban ist eine Möglichkeit, diese Gleichung mit verschiedenen Variablen zu lösen. Dabei kann man mit Kanban sowohl die Nachfrage nach Arbeit und die Entdeckung neuer Arbeit (Discovery) gestalten als auch die Leistungs- und Lieferfähigkeit zu verbessern (Delivery).

Kanban Management Professional Badge


Kanban Trainings mit Zertifizierung

Wenn Sie mehr Interesse haben, heißen wir sie gern in unseren Kanban Trainings willkommen.

‣ zu unseren Trainings mit Kanban Zertifizierungen

Denken wir nochmal an das Kirschblütenfest im Park: Was, wenn die Menge der Besucher doch unbegrenzt wäre? Zu Stoßzeiten wäre in dem überfüllten Park vieles möglich, nur nicht das wofür Familien und Gruppen von Freunden oder Kollegen kommen: ein zwar fröhliches doch auch besinnliches und ungestörtes Picknick. Doch, genau darum geht es: eine gute Benutzererfahrung.

Kanban und Scrum in Organisationen

Scrum ist die populärste agile Arbeitsweise, gefolgt von Kanban. Kanban schreibt zwar keine verbindlichen Praktiken vor, hat aber mehr Erfolg in Organisationen, in denen Führung und die Übernahme von Verantwortung gefördert werden und alle Mitarbeiter motiviert sind, Probleme zu lösen und sich dafür einzusetzen.

Da Kanban immer da beginnt, wo die Organisation gerade ist, kann die Methode sowohl bei traditioneller wie bei agiler Arbeitsweise zur Anwendung kommen. Mit der Kanban-Linse schauen wir auf dem schon bestehenden Prozess, um zu sehen, wie er verbessert werden kann.

Scrum lässt hier viel Freiraum. Als Framework lässt es bewusst offen, welche Praktiken zur Steuerung von Arbeit eingesetzt werden. Per Definition ist Scrum unvollständig. So ergänzen sich Scrum und Kanban hervorragend und stehen in keinerlei Konkurrenz.

Essentiell: Kanban für Agile Coaches

Die Kanban-Prinzipien für evolutionäre Veränderung und für Serviceorientierung (und Kundenfokus) sind eine wichtige Ressource für jeden Agile Coach und Scrum Master bei der Arbeit mit Organisationen und Teams. Die Praktiken von Kanban mit ihren zahlreichen Techniken, ermöglichen Wissensarbeit transparent zu machen und sich wiederholende Prozesse gezielt zu analysieren und effektiver zu gestalten.
Obwohl die Kanban-Methode das nicht primär anstrebt, werden häufig beachtliche Effizienzsteigerungen beobachtet. Mit Kanban werden sich alle Beteiligten bewusster über das, was in ihrem Arbeitssystem passiert, und finden dadurch wirkungsvolle Verbesserungsstrategien.
Mit dem Fokus auf stabile Arbeitssystem verbessert Kanban die Vorhersagbarkeit, die z. B. im agilen Projektmanagement häufig vergeblich angestrebt wird. Wichtig ist dabei auch, dass Vorhersagen auf Basis von Wahrscheinlichkeiten ermittelt werden und die zugrundeliegenden Daten der Vergangenheit mit dem zu prognostizierenden Kontext vergleichbar sind.
Ausschlaggebend ist darüber hinaus der hohe und frühe Fokus auf Qualität, den Kanban mit anderen agilen Ansätzen gemein hat.

Die hier angebotenen Kanban-Schulungen sind offizielle Trainings der Kanban University, dem weltweiten Netzwerk durch David J. Anderson selbst akkreditierter Kanban-Trainer. Die angebotenen Kanban-Schulungen decken die offiziellen Lernziele ab und folgen dem offiziellen Lernpfad für Kanban-Zertifizierungen.

Kanban für Projekte?

Wenn es nach den zahlreichen Herstellern von Tools für Projekt- und Arbeitsmanagement geht, dann ist Kanban eine Projektmanagement-Methodik. Wenn es nach den Autoren des Manifests für agile Software-Entwicklung geht, besteht überwiegend Konsens, dass Projektorganisationen per se Problembehaftet sind und die Zukunft den Produkt- und Serviceorganisationen gehört.

Die Kanban-Methode ist diesbezüglich agnostisch. Kanban kommt weder mit einer Blaupause für eine Unternehmensorganisation noch hat es eine Meinung dazu, ob Projekten die Zukunft gehört oder ob sie der Vergangenheit angehören. Mit der Kanban-Methode bilden wir ein Modell der jetzigen Arbeitsorganisation. Der Fokus liegt dabei auf der Ablauforganisation, idealerweise End-to-End, also von der Kundennachfrage nach einem Produkt, einer Funktionalität oder einem Service bis zur Auslieferung (und ggf. dem Monitoring).
Das Modell dient dann zeitgleich dem Steuern der Arbeit als auch der Analyse der Angemessenheit der Arbeitsorganisation und der Suche nach Verbesserungspotentialen.
Dabei ist es zunächst egal, ob es sich um eine Produkt-, Projekt- oder Service-Organisation handelt.

Fakt ist, dass es einerseits Branchen gibt, deren Geschäft Projekte sind, seien es Agenturen, Unternehmensberater oder Schreinereien. Fakt ist auch, dass Unternehmen, die noch projektorientiert arbeiten – selbst, wenn eine Produkt- oder Serviceorganisation besser wäre – vor einer großen Veränderung stehen, wenn sie das Arbeitsmodell in wenigen Monaten ändern wollten.
Kanban als evolutionäre Methode der Verbesserung und Veränderung setzt zunächst an den Prozessen an, die hinter jedem Projekt liegen und zeigt auf, wie sie in ein pull-basiertes Fluss-System überführt werden können und wo die Verbesserungspotential hinsichtlich Flusseffizienz, Vorhersagbarkeit, Kundenfokus und Balance zwischen nachgefragter und leistbarer Arbeit liegen. Auch wenn Kanban keine Projektmanagement-Methode ist, kann Kanban ganz selbstverständlich in Projekten genutzt werden.

Voraussetzungen für Kanban

Die Kanban-Methode kommt weder mit vordefinierten Rollen oder Verantwortlichkeiten noch mit einer Prozessblaupause oder definierten Artefakten. So gesehen gibt es keine Voraussetzungen und der Einstieg in die Kanban-Welt erscheint niedrigschwelliger als die Umstellung auf das z. B. das Scrum-Framework, LeSS oder gar SAFe.

Es gibt allerdings Erfahrungswerte dazu, welche Faktoren die Erfolgsaussichten einer Kanban-Initiative spürbar erhöhen:

  • Auch Veränderungen in kleinen Schritten brauchen Sponsoren, haben Stakeholder und profitieren von einem Change-Team oder einer Person, die die ersten Etappen der Reise sachkundig und engagiert begleitet. Diese Person (oft Scrum Master, Agile oder Kanban Coaches) und das Team oder der Bereich, der Kanban ausprobieren möchte fährt besser mit einem offiziellen Mandat durch die Sponsoren und einem guten Draht zu den Stakeholdern.
  • Die bekannteste Kanban-Praktik ist das Visualisieren von Arbeit bzw. des Kanban-Systems. Typischerweise haben wir hier Kanban-Boards, die echten, vor Augen, auch wenn jeder andere Weg, der funktioniert natürlich erlaubt wäre. Fehlt die Möglichkeit einer angemessenen Visualisierung inkl. schneller Anpassungen der Boards im Betrieb, fehlt die nötige Transparenz der Arbeit, um mit Kanban erfolgreich zu sein.
  • Kanban-Boards erstellt man nicht, indem man mal eben einige generische Spalten, z. B. die oben genannten vier (Zu erledigen, In Arbeit, Wartet, Erledigt), erzeugt und die laufende Arbeit zuordnet. Es gibt verschiedene Workshopformate wie z. B. STATIK, um ein Arbeitssystem unter Kanbangesichtspunkten zu modellieren und einen Entwurf für ein Kanban-Board zu erstellen. Dies sollte nicht im stillen Kämmerlein, sondern in einem Workshop mit den betroffenen Menschen erfolgen. Im Anschluss sollte der Entwurf „sozialisiert“, also z: B. den Stakeholdern, einem Soundingboard oder angrenzenden Teams oder betroffenen Kunden vorgestellt werden, mit dem Ziel Feedback für Anpassungen zu erhalten.
  • Eine zentrale Eigenschaft von Kanban-Systemen ist, dass sie pull-basierte Arbeitsfluss-Systeme sind. Die Begrenzung paralleler Arbeit durch WIP-Limits ist ein wirksamer Mechanismus, um eine solches Arbeitssystem aufzubauen. Eine Voraussetzung ist, dass das Team oder die Organisation bereit ist, das zumindest über eine Phase von einigen Monaten auszuprobieren und die damit einhergehenden Regeln zu respektieren.
  • Ein Ziel von Kanban ist es, stabile Arbeitssysteme zu entwickeln die eine gute Vorhersagbarkeit haben. Dies erfordert das Erheben von Metriken und spezifische Auswertungen. Für Ersteres benötigen Sie das Einverständnis, für Letzteres Tools, die das Ermöglichen oder zumindest die Möglichkeit eines regelmäßigen Datenexports.
  • Wir beobachten regelmäßig, dass Kanban-Initiativen nicht deshalb auf wackeligen Beinen stehen, weil sie schlecht sind, sondern weil der gewählte Umsetzungsweg zu den Praktiken dem Reifegrad der Organisation nicht angemessen ist. Manche Initiativen wollen zu wenig, viele wollen am gerade am Anfang zu viel zu schnell. Anhaltspunkte finden sich im Kanban Maturity Model als Playbook für die Entwicklung von Organisationen mit Kanban.
  • Regelmäßig beobachten lässt sich auch, dass Kanban mehr Wirkung entfacht, wenn es eine Verantwortung für die Arbeitsanfragen einerseits und die Auslieferung von Arbeit andererseits gibt. Ob diese Verantwortlichkeiten Request Manager oder Product Owner oder Product Manager oder Delivery Manager oder Producer oder ganz anders heißen, ist der Kanban-Methode wiederum egal.

Dieser Artikel haben Anton Skornyakov und Rolf Irion in Zusammenarbeit geschrieben.

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