Mit Kanban verbinden wir meistens eine Wand, eine Tafel oder eine Fensterscheibe die mittels Klebeband in Spalten unterteilt wurde in denen zahlreiche bunte Haftnotizen angebracht sind – oder die Entsprechung in einem Softwarewerkzeug. Doch Kanban ist weit mehr als sein „Exportschlager“ – das Kanban-Board. Und viele dieser Boards, die wir in Büros und pandemiebedingt zunehmend auch in Privathaushalten sehen, sind keine Kanban-Boards. Ihnen fehlt die Mechanik eines echten Kanban-Systems, durch die sich die Wirkung von Kanban überhaupt erst entfalten kann.

Definition von Kanban
Kanban wird heutzutage meistens in einem Atemzug mit anderen agilen Ansätzen genannt. Der Begriff stammt aus dem Japanischen. Kanban bedeutet so viel wie (Signal-)Karte, Schild oder Tafel. Das entsprechende Schriftzeichen findet man auch im Chinesischen. Dort bedeutet es in etwa „auf die Tafel schauen“.
Ursprünglich wurde Kanban in Japan von Taiichi Ohno, dem Erfinder des Toyota-Produktionssystems, als Methode zur Steuerung der Produktionsprozesse nach dem “Pull-Prinzip” entwickelt.
Alltags-Beispiele für Kanban
Aber Kanbans sind nicht zwingend Karten auf einem Board.
In Japan nutzen zum Beispiel Parks, die besonders zur Blütezeit der Yoshino-Kirschbäume einen hohen Besucherandrang erleben, eine einfache Kanban-Praktik: Am Eingang erhalten die Besucher eine Besucherkarte, die sie beim Verlassen des Parks wieder abgeben müssen. Es gibt nur eine feste Anzahl dieser Karten. Sind alle Karten im Umlauf, müssen neue Besucher warten bis wieder Karten zurückgegeben wurden. So wird eine Überlastung der Parks vermieden und eine angenehme Erfahrung der Menschen, die den Park besuchen, sichergestellt.

Das gleiche Kanban-Prinzip steckt in der Pandemie hinter der Politik vieler Supermärkte, nur noch Besucher mit einem Einkaufswagen hereinzulassen. Auf diese Weise wird automatisch gewährleistet, dass nur die maximale erlaubte Anzahl von Kunden im Geschäft ist.
Kanban in der IT
David J. Anderson adaptierte die ursprüngliche Kanban-Methode, die Taiichi Ohno für die Produktion von Gütern konzipiert hatte und wandte sie zunächst auf Prozesse in Softwareentwicklung und -support bei Motorola und Microsoft an. Inzwischen wird Kanban erfolgreich für verschiedenste Arten der Wissensarbeit und der Dienstleistungserbringung eingesetzt und das in zahlreichen Branchen.
Agile mit Kanban?
Doch wie schafft es Kanban eigentlich, die beteiligten Menschen zur Zusammenarbeit bei der Verbesserung ihres (Arbeits-) Systems anzuregen? Der erste wichtige Aha-Effekt tritt regelmäßig bei der Visualisierung der gerade geleisteten Arbeit mit einem echten Kanban-Board auf.
“Ich hatte schon immer den Eindruck, dass wir viel zu viel Zeit in Aufwandsschätzungen für geplante Projekte stecken!”
“Endlich sieht man “schwarz auf weiß”, wie viele unserer Aufgaben durch Abhängigkeiten zu anderen Abteilungen blockiert sind.”
“Kein Wunder haben wir keinen Fokus, wenn wir auf so vielen Hochzeiten tanzen – mit einem Team von 5 Personen.”
Ein weiterer großer Klick-Moment entsteht, wenn wir beginnen, die Menge an Arbeit (WIP – Work In Progress) zu begrenzen, die ein Team oder die Teams entlang eines ganzen Prozesses gleichzeitig bearbeiten. Dadurch verschiebt sich der Fokus auf das Abschießen von angefangener Arbeit und neue Arbeit wird erst begonnen, wenn alte Arbeit beendet wurde. So holt das Team also seine Arbeit (Pull-Prinzip), anstatt dass immer mehr neue Arbeit in ein Team gedrückt wird, obwohl alte Arbeit noch längst nicht abgeschlossen ist.
Plötzlich haben Menschen wieder eine Chance, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, gemeinsam Qualität zu erzeugen und sich auch der Verbesserung ihres Arbeitssystems – Schritt für Schritt – zu widmen. Mit weniger Stress und Überstunden wird mehr erreicht.
Und Kanban hilft auch, besser mit sich ändernden Anforderungen umzugehen und nicht-planbare Arbeit zu steuern. So hilft Kanban Teams und Organisationen agiler zu werden.
Ziel der Kanban-Prinzipien

Was die Kanban-Methode beschreibt, sind Kanban-Praktiken und -Prinzipien, die bei agilen Organisationen weltweit beobachtet wurden. Ihnen allen ist gemeinsam, dass ein hohes Gleichgewicht zwischen (Kunden-)Anforderungen und (Geschäfts-)Fähigkeiten erreicht wurde.
Organisationen, in denen dieses Gleichgewicht gestört ist, leiden meist an einer überlasteten und unproduktiven Belegschaft, schlechter Qualität, unzuverlässigen Vorhersagen, verspäteten Lieferungen und fehlender Zeit für Innovationen und dadurch an verpassten Geschäftsgelegenheiten. Die Kanban-Methode ist eine Möglichkeit, diese Gleichung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie nutzt im Kern sechs Praktiken und zahlreiche Techniken, um Nachfrage zu gestalten und die eigene Leistungsfähigkeit zu verbessern.


Kanban Trainings mit Zertifizierung
Wenn Sie mehr Interesse haben, heißen wir sie gern in unseren Kanban Trainings willkommen.
Denken wir nochmal an das Kirschblütenfest im Park: Was, wenn die Menge der Besucher doch unbegrenzt wäre? Zu Stoßzeiten wäre in dem überfüllten Park vieles möglich, nur nicht das wofür Familien und Gruppen von Freunden oder Kollegen kommen: ein zwar fröhliches doch auch besinnliches und ungestörtes Picknick.
Kanban und Scrum in Organisationen
Kanban gilt als der am weitesten verbreitete agile Ansatz nach Scrum. Kanban schreibt keine verbindlichen Praktiken vor, hat aber mehr Erfolg in Organisationen, in denen Führung und die Übernahme von Verantwortung gefördert werden und alle Mitarbeiter motiviert sind, Probleme zu lösen und sich dafür einzusetzen.
Dabei kann Kanban sowohl im Rahmen von traditionellen, wie agilen Arbeitsweisen eingesetzt werden. Da Kanban einerseits immer auf dem schon bestehenden Prozess aufsetzt und andererseits Scrum als Framework bewusst offenlässt welche Praktiken zur Steuerung von Arbeit eingesetzt werden, ergänzen sich Scrum und Kanban hervorragend und stehen in keinerlei Konkurrenz.
Essentiell: Kanban für Agile Coaches
Die Kanban-Prinzipien für evolutionäre Veränderung und für Serviceorientierung (und Kundenfokus) sind eine wichtige Ressource für jeden Agile Coach und Scrum Master bei der Arbeit mit Organisationen und Teams. Die sechs Praktiken von Kanban mit ihren zahlreichen Techniken, ermöglichen Wissensarbeit transparent zu machen und sich wiederholende Prozesse gezielt zu analysieren und effektiver zu gestalten. Obwohl die Kanban-Methode das nicht primär anstrebt, werden häufig beachtliche Effizienzsteigerungen beobachtet. Mit Kanban werden sich alle Beteiligten bewusster über das, was in ihrem Arbeitssystem passiert und finden dadurch wirkungsvolle Verbesserungsstrategien. Ausschlaggebend ist aber auch der hohe und frühe Fokus auf Qualität, den Kanban mit anderen agilen Ansätzen gemein hat.
Dieser Artikel haben Anton Skornyakov und Rolf Irion in Zusammenarbeit geschrieben.