In meinen Kanban-Schulungen (Rolf hier) bekomme ich regelmäßig die Frage nach Tools gestellt, und ob ich Empfehlungen hätte.
Die Frage kommt spätestens, wenn wir über Gestaltungsmuster für Boards und die Kanban-Praktiken gesprochen haben. Denn an dieser Stelle erkennen die Menschen im Training „Oha, das kann unser Tool ja gar nicht!“ und fragen sich „Kann ich denn mit unserem Tool überhaupt all das umsetzen?“
Die Frage ist nicht immer leicht zu beantworten: Einerseits wirst du nicht jedes Gestaltungsmuster einsetzen, sondern nur einige. Welche, das wird sich allerdings im Zeitverlauf ändern. Andererseits handelt es sich bei den eingesetzten Werkzeugen mehrheitlich um Jira und wenn nicht, stellt sich die Person im Training meist die Frage, ob und wie man ein Kanban-System im Teams Planner abbildet.
- Was ist Kanban eigentlich?
- 4 Gründe, warum die Frage nach einem Kanban-Tool sehr relevant ist
- Warum so viele Menschen mit den eingesetzten Tools unzufrieden sind
Was ist Kanban eigentlich?
Kanban ist nach Scrum die am weitesten verbreitete agile Arbeitsweise. Es ist eine beliebte Methode für jede Art von Wissensarbeit und es gibt nur wenige Voraussetzungen, um damit starten zu können. Gleichzeitig ist es noch stärker als Scrum von Lean beeinflusst
Kanban setzt stark auf visuelles Management. Es hilft, z. B. über Boards, Arbeitsabläufe einfach sichtbar zu machen und gleichzeitig die Effizienz des Arbeitsflusses zu steuern und die Leistungserbringung laufend zu verbessern.
Werden neben dem Arbeitsfluss und der laufenden Arbeit auch weitere Elemente des Arbeits-Systems visualisiert sprechen wir von einem Kanban-System; das Arbeits-System wurde „kanbanisiert“ (engl. to kanbanize).
Mehr zu den Kernprinzipien von Kanban und dem Unterschied zwischen einem Kanban-Board und einem Task-Board findest du in unserem Wissensbeitrag: Kanban – Was ist das?
Kanban ist über all dem ein Weg, zuerst anders auf deine Ablauforganisation zu schauen, bevor du möglicherweise die Aufbauorganisation veränderst. Durch diese neue Perspektive siehst du Dinge, die vorher im Verborgenen blieben oder du siehst die Dinge anders. Auf dieser Basis kannst du deine Arbeitsabläufe agil optimieren.
In dieser dreiteiligen Artikelserie bekommst du einen Überblick zu Online-Boards bzw. Kanban-Tools sowie wertvolle Tipps und Erfahrungen, wie du das richtige Tool für dein Team oder deine Organisation auswählst.
4 Gründe, warum die Frage nach einem Kanban-Tool sehr relevant ist
Online-Kanban-Boards sind das neue Normal
Es gibt eine post-pandemische Arbeitswelt. Sie ist zunehmend verteilt, hybrid und asynchron.
Viele Teams arbeiten standortübergreifend, Menschen in diesen Teams arbeiten von zu Hause, aus dem Büro oder mal so mal so. Das gab es auch prä-pandemisch – und erschien exotisch: Firmen ohne Büro, Teams mit Menschen aus der ganzen Welt, verteilt über Zeitzonen, die miteinander arbeiten, ohne ständig in gemeinsamen Meetings zu sitzen.
In unseren Trainings zeigen und besprechen wir Gestaltungsmuster für Kanban-Boards und Tickets. Oft zeigen wir Fotos von physischen Boards. Die elektronischen Darstellungen auf Online-Boards empfinden die Haptik von Klebeband und Haftnotizen nach.
Wir könnten alle Beispiele in Tools abbilden und Screenshots zeigen – und wir haben diese Beispiele. Dennoch, das Arbeiten mit Papier und Stift bzw. physische Boards werden in unserem Gehirn anders verarbeitet als die Arbeit an einem Computerbildschirm.
Es ist wie ein gedrucktes Buch im Vergleich zu einem E-Book-Reader. Deshalb haben wir immer zu physischen Boards geraten. Nun, ein E-Book-Reader hat Vorteile (und Nachteile), und so ist es auch mit Online-Tools. Und, es geht kaum noch ohne sie. Online-Kanban-Boards sind das neue Normal.
Scrum-Tools sind gut, aber sind sie gut genug?
Viele Scrum-Teams wollen durch die Anwendung von Kanban agiler werden. Oder Kanban taucht im gewählten Skalierungsframework auf. Oder die Organisation hat ein Training wie „Kanban Systeme verbessern“ (engl. Kanban-Systems-Improvement) besucht, sich mit dem Flight-Levels-Konzept auseinandergesetzt und versteht Kanban selbst als Skalierungsansatz für z. B. Scrum.
Wenn dich Letzteres interessiert, dann schau doch in unseren Kurs „Kanban-Systeme verbessern (Kanban Management Professional, Teil 2)“ in welchem wir auf das Thema Skalierung ausführlicher eingehen.
In diesem Fall hat man bereits ein Werkzeug angeschafft, das Boards, Sprints, Tickets eventuell sogar Scrum-Events und einige Metriken abbildet.
Viele dieser Tools haben einen Kanban-Modus. Und sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was das bedeutet:
- Eine View, die Tickest in Spalten anzeigt?
- Keine Sprints?
- Dass jeder Arbeitsschritt in „In Arbeit“ und „Erledigt“ aufgeteilt werden kann?
- Dass man mehr oder in einigen Fällen weniger (!) Metriken und Charts zur Verfügung hat?
- Oder …?
Das führt uns zum dritten guten Grund, warum die Frage nach einem Kanban-Tool relevant ist.
Viele Projektmanagement- oder Incident-Tools haben eine Kanban-View
Fast jede Organisation hat bereits ein Softwarewerkzeug im Einsatz, mit dem Projekte oder Incidents – also „als Tickets verschriftlichte Arbeitsaufträge“ – verwaltet werden. In den letzten Jahren haben fast alle einschlägigen Softwareanbieter ihren Systemen beigebracht, Arbeit in Spalten darstellen zu können. Und sie nennen diese Sicht Kanban.
Auch wenn „Arbeit in Spalten darstellen“ ein wichtiges Gestaltungsmuster in Kanban ist, weder ist es Kanban noch ist es die Essenz davon.
Das Phänomen „Wir können jetzt auch Spalten“ ist gravierender als die Scrum-Tool-Problematik. Warum? – Weil diese Werkzeuge breiter und tiefer als Scrum-Tools in der der Organisation verankert sind.
Breiter bedeutet, diese Tools werden für verschiedenste Arten der Vorgangsbearbeitung und von vielen Menschen genutzt. Tiefer bedeutet, dass diese Tools mit der Zeit immer mehr Teil der Prozesse werden, die sie abbilden und steuern sollen.
Ein Beispiel könnte sein, dass Kunden Probleme über die Webseite melden können. Dadurch wird automatisch ein Incident erzeugt. Dieser soll dann über das Board gesteuert werden. Während der Bearbeitung des Incidents werden weitere Informationen direkt im Ticket erfasst und gelangen über eine Schnittstelle in ein Risikomanagement-System.
Das betroffene Team möchte nun anstatt des Incident-Systems eine Kanban-Software nutzen, in der alle Arbeit sichtbargemacht wird, also sowohl Incidents, als auch Change Requests und Feature Requests. Wenn ich das Incidentsystem austausche, dann muss ich auch an die Schnittstellen zum Kundenweb und zum Risikomanagement ran. Andernfalls stockt der Prozess. Oder ich muss die Incidents manuell oder per Schnittstelle übertragen und redundant führen.
Oft läuft es auf das wenig motivierende „manuell übertragen“ hinaus. Z. B. weil das Team nicht berechtigt ist, die Incidents per Schnittstelle abzuholen. Und weil andererseits das Incident-Tool noch für andere Teams und Vorgänge genutzt wird und daher in diesem Prozes nicht so einfach durch ein anderes Tool ersetzt werden kann.
Es gibt viel mehr Kanban-Tools als du denkst
Es gibt um die 30 bekanntere Werkzeuge, die entweder native Kanban-Tools oder bekannt für „Work-Management“ sind, und behaupten Kanban zu können. Einige Namen der letzteren Kategorie kennst du vielleicht. Die Namen der nativen Tools sind unbekannter. Die wenigsten Personen in meinen Trainings kennen sie.
Lass uns schauen, welche Werkzeuge am Markt zu den gängigen gehören, warum viele Menschen damit unzufrieden sind und welche Alternativen es gibt, wenn wir nach echten Kanban-Tools suchen.
Warum so viele Menschen mit den eingesetzten Tools unzufrieden sind
Viele Teams sind mit den eingesetzten Tools für Scrum oder Kanban unzufrieden. Hierfür gibt es handfeste Gründe, die ich in meinen Interventionen wiederholt beobachten konnte oder mit denen ich selbst umgehen musste:
Die Teams stoßen typischerweise an eine oder mehrere der folgenden drei Grenzen:
- Funktional, weil das Tool nicht das kann, was sie im Training gelernt haben oder was der Agile Coach vorschlägt.
- Organisational, weil zu viele Abhängigkeiten bestehen. Die Konfiguration des Tools liegt nicht in den Händen des Teams und die Teams warten lange auf Änderungen – manchmal auch vergeblich.
- Technisch, weil das Tool inzwischen „zerkonfiguriert“ ist.
Kanban Training mit Zertifizierung
Wenn du lernen möchtest, wie man nach einem strukturierten und wiederholbaren Verfahren vorgeht, um Kanban-Boards zu entwerfen und welche Gestaltungsmuster und Grundfunktionen ein Kanban-Tool abbilden können sollte, dann besuche doch unseren Kurs „Kanban-Systeme entwerfen (Kanban Management Professional, Teil 1).
Die Folgen dieser Unzufriedenheit können gravierend sein. Die Teams verlieren die Lust auf das Tool und empfinden es als nutzlos und belastend. Sie werden demotiviert, gelangweilt oder gestresst. Sie suchen nach anderen Tools oder Lösungen, die ihnen mehr versprechen – was nicht heißt, dass die Versprechen gehalten werden und die Organisation das Tool überhaupt kauft oder breitflächig, einzusetzen erlaubt. So entstehen oft Flickenteppiche aus Tools. Was nach meiner Einschätzung weniger schlimm ist als viele glauben, solange jedes Team mit seinem Tool sehr zufrieden wäre.
Um diese Unzufriedenheit zu vermeiden, solltest du dir Zeit nehmen, das richtige Kanban-Tool für deine Arbeit zu finden. Du solltest deine eigenen Kriterien festlegen, es gründlich testen, an deine Prozesse anpassen, ohne an Flexibilität zu verlieren und es auch richtig nutzen.
Das klingt nach langen Kriterienlisten und Nutzwertanalyse. Eventuell wird deine Organisation so etwas von dir verlangen, bevor eine Kaufentscheidung fällt. Meines Erachtens ist es viel einfacher. Denn viele der gängigen Tools erfüllen schon die grundlegenden Anforderungen für echtes Kanban nicht.
Darauf gehe ich in Teil 2 dieser Artikelserie ein.