Scrum Master Auftrag im Vorstellungsgespräch: Wie & warum?

Einführung

Schon die erste Auftragsklärung als Scrum Master:in (z.B. im Vorstellungsgespräch) kann meiner Erfahrung nach von entscheidender Bedeutung für die Chancen auf Erfolg sein, denn:

Es ist ist Teil einer Einführung von Scrum, dass etliche Menschen Ihr Verhalten ändern. Änderungen des eigenen Verhaltes fallen den meisten Menschen schwer. Als Scrum Master:in läuft man deshalb leicht gegen Wände, wenn Team und Umfeld nicht wirklich dringend Scrum nutzen wollen, um etwas für sie Wichtiges zu erreichen.

Glücklicherweise durfte ich (Timon hier) auch schon erleben, wie wirksam Scrum Master:innen sein können, wenn …

  1. alle im Team und Schlüsselpersonen im Umfeld verstehen was Scrum ist
  2. es wirklich für sich nutzen wollen und 
  3. die Scrum Master:in beauftragen auf diesem Weg zu führen, d.h. Orientierung und Unterstützung zu bieten.

Meiner Erfahrung nach besteht der einfachste Zugang zu dieser hohen Wirksamkeit darin, noch vor Begin der Zusammenarbeit mit der Auftragsklärung zu beginnen und sich ein explizites Mandat geben zu lassen.

Auch unterwegs hilft es, das Thema Mandat im Blick zu halten und weiter zu schärfen und zu stärken (mehr dazu weiter unten im Text).

Was heißt in diesem Zusammenhang Mandat?

Das bedeutet, dass die beteiligten Menschen ganz klar sagen:

1. Wir wollen wirklich Scrum machen.

2. Wir wollen, dass Du uns dabei unterstützt.

Ich würde Mandat also in etwa mit „Auftrag“ übersetzen. Übrigens: Als ich mit Amerikanern zusammen gearbeitet habe, habe ich das Wort „Mandat“ vermieden, denn das haben die Kolleg:innen dort eher als „Einsatzbefehl“ verstanden, der von oben herab erteilt wird. Einen expliziten Auftrag benötige ich als Scrum Master aber nicht nur „von oben“, sondern explizit auch von dem Team, in dem ich die Scrum Master Rolle einnehme.

Warum ist das Mandat für die Arbeit als Scrum Master:in so wichtig?

Zur Arbeit als Scrum Master:in gehört es dazu, Menschen zu führen, ohne das wir formale Autorität haben. Ohne formale Autorität kann ich niemanden dazu bringen etwas zu tun, was sie nicht tun wollen. Und wenn Menschen (oder Gruppen von Menschen) nicht so genau wissen, was sie wollen, kann ich sie auch nicht wirksam dabei unterstützen ihre Ziele zu erreichen.

Deshalb kläre ich gleich zu Beginn mit Team und Umgebung was sie erreichen möchten und welche Unterstützung sie dabei von mir möchten.

Wenn z.B. das ganze Team mir zu Beginn klar sagt, dass sie täglich ein maximal 15 minütiges sehr essentielles und fokussiertes Daily Scrum durchführen wollen und meine Unterstützung dabei möchten, kann ich auch einzelne oder die ganze Gruppe darauf aufmerksam machen, wenn jemand anfängt auszuschweifen. Dann gibt es für mich keinen Zweifel ob ich das darf, oder ob das erwünscht ist. Ja, ich darf das und die betreffenden Personen haben mich explizit darum gebeten. Also kann ich ohne unnötige Zweifel respektvoll aber klar darauf Hinweisen was ich bemerke.

Wie siehst du Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen einem Coaching Agreement (ICF) und einem Mandat als Scrum Master:in?

Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten und die in diesem Artikel „Assignment Clarification for Scrum Masters & Agile Coaches“ beschriebenen Teile gelten gleichermaßen.

Es gibt aber auch bedeutsame Unterschiede:

  1. Manche Coaches arbeiten mit Menschen in bestehenden Strukturen (strikte Hierarchie, Matrix etc.) ohne dass es Teil Ihres Auftrags wäre diese Strukturen zu verändern. Teil der Definition der Scrum Master:in ist jedoch, dass sie Scrum Einführungen plant, unterstützt und Menschen innerhalb und außerhalb des Teams Scrum vermittelt. In Organisationen die vor dem Start der Scrum Master:in noch nicht nach Scrum arbeiten ist die Konsequenz, dass Scrum Master:innen als wesentlichen Teil ihres Auftrags haben, an der Veränderungen der Struktur der Arbeitsorganisation mitzuwirken.
  2. Die Arbeit als Scrum Master:in beinhaltet je nach Kontext ggf. mehr „Hands on“ Aktivitäten als die eines reinen Coaches. Z.B. habe ich bei einem kleinen sehr erfolgreichen Berliner Unternehmen einmal mitbekommen, wie ein Scrum Master mit dem im Sprint auftauchenden Hindernis umgegangen ist, dass ein Router defekt ist und die Entwickler deshalb nur sehr eingeschränkt arbeiten können. Der betreffenden Scrum Master ist damals in ein naheliegendes Elektronik-Kaufhaus gegangen um direkt einen Ersatz-Router zu kaufen, sodass das Team innerhalb ca. einer Stunde wieder mit voller Produktivität arbeiten konnte. Manche Scrum Master:innen würden hier auch anders agieren und je nach Unternehmenskultur und Standort sind unterschiedliche Handlungsweisen angemessen. Für Scrum Master:innen ist „Hands on“ eingreifen jedenfalls grundsätzlich eine akzeptable Option, die reine Coaches i.d.R. vermeiden.

Wann sollte ich mein Mandat als Scrum Master:in stärken?

Es ist immer dann Zeit, mir ein klares Mandat zu holen, falls ich keins habe: Am offensichtlichsten ist dies zu Beginn der Zusammenarbeit mit einer neuen Organisation oder einem neuen Team. In diesem Fällen hole ich mir das Mandat am liebsten schon im Vorstellungsgespräch. In diesem Video habe ich spontan mündlich beschreiben warum und wie ich das schon oft gemacht habe:

Ebenfalls wichtig ist eine solche Absprache, wenn einzelne neue Menschen dazu kommen. Wenn also z.B. neue Entwickler:innen zum Team dazu kommen, eine Führungskraft wechselt oder für eine wichtige Führungskraft eine neue Stellvertreter:in benannt wird.

Und schließlich lernen wir dazu, bewegen uns weiter und erreichen Ziele, die wir uns zuvor gesteckt haben, so dass immer wieder Bedarf besteht den Auftrag der Scrum Master:in zu klären, zu schärfen und und verfeinern. Zum Ende dieses Artikels gehe ich noch einmal genauer auf diesen Aspekt ein.

Welche Wege haben sich für Dich bewährt als Scrum Master ein klares Mandat aller beteiligter Personen zu bekommen?

Als Freiberufler wurde ich meistens von Führungskräften angefragt. Die habe ich dann jeweils direkt gefragt, warum Sie überhaupt eine Scrum Master:in dort haben wollen. Das war ein erster wichtiger Filter für mich, denn ich habe es etliche Male erlebt, dass dann Dinge gesagt wurden wie: „Das Team arbeitet einfach nicht richtig. Die haben keine Ahnung von Scrum und da fehlt das Commitment. Denen muß mal jemand eintrichtern wie Scrum funktioniert und ihnen Feuer unterm Hintern machen.“ Das hört sich an wie ein schlechter Scherz, ist aber tatsächlich ein O-Ton aus einem Telefonat zur Auftragsklärung.

Dem speziellen Geschäftsführer habe ich damals noch versucht zu erklären, wie sich intrinsische und extrinsische Motivation unterscheiden und, dass es in Scrum für die Entwickler legitim ist selbst zu entscheiden wie viele Aufgaben sie sich für den jeweils nächsten Sprint vornehmen. Das hat aber nichts genützt, zwanzig Minuten später habe ich das Gespräch dann freundlich aber klar beendet, weil ich realisiert habe, dass ich einfach nicht zu diesem Menschen durchdringe.

In den besseren Fällen habe jemanden kennen gelernt, der ein wertvolles geschäftliches Ziel erreichen möchte, seine Mitarbeiter respektiert und sie unterstützen möchte.

Dann bitte ich vor einer Zusage auf jeden Fall um einen Termin mit dem Team.

Wenn das Team mit Scrum schon vertraut ist, habe ich dort dann jeweils zuerst zwei Fragen gestellt. Zuerst eine „Wunderfrage“ (viele Coaches nutzen gern solche Fragen):

1. „Ich wüsste gerne von Euch, was Ihr im besten Fall mit meiner Unterstützung erreichen wollt. Stellt Euch vor ich hätte Superkräfte, wir arbeiten ein Jahr zusammen und danach ist alles besser als vorher. Wie ist es dann? Schreibt doch bitte mal ein paar konkrete Beispiele auf, was Ihr dann beobachten könnt.“

Hier ein Beispiel aus einer realen Auftragsklärung mit einem Team (Namen abgedeckt):

Dann sehe ich mir die Beispiele an, und Frage ggf. nach, um diese besser zu verstehen. Falls ich das ehrlich so meine sage ich dann z.B.:

„Mir gefällt diese Zukunft, die Ihr da beschreibt. Ich habe total Lust mich dafür zu engagieren, dass die wahr wird oder wir zumindest so nahe wie möglich da herankommen.“

Die zweite Frage ist dann eher ein Angebot und lautet:

2. „Was möchtet Ihr von mir wissen, damit Ihr entscheiden könnt ob ich der richtige Scrum Master für Euch bin? Schreibt doch bitte mal ein paar konkrete Fragen auf.“

Ich bitte deswegen darum, die Fragen aufzuschreiben, weil ich auf diese Weise die Fragen ein wenig vorsortieren und systematischer antworten kann. Z.B. kann ich dann Fragen rund um die Arbeit hintereinander beantworten und persönlichere Fragen ebenfalls geordnet und gebündelt beantworten.

Hier ein Beispiel aus einer realen Auftragsklärung mit einem Team (Namen abgedeckt):

Oft kommen da auch Fragen nach Hobbies, Familie usw., da geht es darum herauszufinden wer man so als Mensch ist. Ich gehe gerne darauf ein und sehe das als Chance, mich menschlich zu zeigen. Das macht es anderen leichter, mich einzuordnen und mir zu vertrauen.

Zum Ende eines solchen ersten Termins hin sage ich meistens noch so etwas wie:

„Ich vermute ihr wollte Euch noch untereinander absprechen ob Ihr nun mit mir zusammen arbeiten wollt. Ich für meinen Teil kann schonmal sagen: Ich hätte Lust mit Euch zu arbeiten und ich denke wir können Euren Zielen im nächsten Jahr zumindest deutlich näher kommen. Und da liegt noch einiges an Arbeit vor uns die weiter zu schärfen und nächste Schritte zu identifizieren.“

In so einem Gespräch habe ich dann nicht nur geklärt, was das Team erreichen möchte und ob sie das mit meiner Unterstützung erreichen wollen, sondern:

Zusätzlich hat mich das Team auch schon in Aktion erlebt, wie ich ein Gespräch leite und kann sich fundiert für oder gegen mich als Scrum Master entscheiden. Wenn ich dann mit Ihnen beginne zu arbeiten, kann ich vom ersten Moment an auf die gleiche Art führen und wir können die verschiedenen Herausforderungen gemeinsam angehen.

Wie konkretisierst und stärkst du das Mandat als Scrum Master:in über die Zeit?

Nach der oben beschriebenen initialen Auftragsklärung gibt es noch viel Arbeit zu tun um die Ziele und die nächsten Schritte auf dem Weg deutlich zu konkretisieren:

  1. Die ersten Ziele die Menschen formulieren sind oft zu grob, um wirksam darauf hin zu arbeiten. Einer der Zettel im o.g. Beispiel Bild war „Arbeiten sind über den Sprint abgebildet.“
  2. Für die Ziele helfen zur weiteren Klärung meist Frage die sich auf beobachtbare Ergebnisse beziehen, z.B.: „Woran erkennen wir in 6 Monaten, dass dieses Ziel erreicht ist?“ Im o.g. Beispiel stellte sich heraus, das regelmäßig einzelne Entwickler gedrängt wurden neben der gemeinsam im Team eingeplanten Arbeit noch weitere Arbeit zu leisten, die nie Bestandteil des Produkt Backlogs oder Sprint Backlogs war. Dies hatte viele negative Konsequenzen. Dieses Ziel wäre ggf. erreicht wenn gilt: „Auch alle Arbeiten die innerhalb eines laufenden Sprints auftauchen werden durch den Product Owner priorisiert, ins Product Backlog eingeordnet oder nach Rücksprache und Einverständnis der Entwickler in das Sprint Backlog aufgenommen. Ggf. wird im Austausch etwas anderes aus dem Sprint Backlog entfernt.“
  3. Wessen Beiträge sind erforderlich, um das o.g. Ziel zu erreichen? Wer muß dafür sein Verhalten ändern? usw.
  4. Wer überprüft zu welchem Zeitpunkt, inwieweit das o.g. Ziel erreicht wurde und fällt neue Entscheidungen? usw.

Abschluss und Ausblick

In unserem Artikel „Assignment Clarification for Scrum Masters & Agile Coaches“ sind die weiteren Aspekte der Schärfung des Auftrags, Konkretisierung der nächsten Schritte und deren Nachverfolgung detailliert beschrieben, einschließlich weiterer Beispiele und eines Cheat Sheets.

Nach oben scrollen