In einigen unserer Trainings spielen wir das Ballpunktespiel.
Die Teilnehmenden bilden Teams und geben sich gegenseitig – unter Einhaltung bestimmter Regeln – Bälle durch, um möglichst viele Punkte zu sammeln.
Zu Beginn probieren sie aus, verbessern sich leicht – und sind recht schnell zufrieden.
Dann hören sie, dass andere Gruppen das Zehnfache erreicht haben.
Manche Teams nehmen das als Ansporn und beginnen, ganz neu zu denken: „Was müssten wir ändern, um das zu schaffen?“
Andere glauben es nicht – oder bleiben bei ihrem bisherigen Vorgehen.
Wir haben dieses Spiel schon mit Hunderten von Gruppen gespielt und kennen diese soziale Dynamik gut:
Die Annahme oder Ablehnung der Möglichkeit einer verzehnfachten Produktivität – dieses Ankers, der anfangs oft schwer vorstellbar ist – hat entscheidenden Einfluss auf die spätere Performance der Teams.
Die Gruppen, die diesen Anker akzeptieren, erreichen deutlich mehr.
Einige kommen dem 10-fach-Ziel nahe oder schaffen es sogar.
Das braucht meist mehrere Versuche – und einige davon scheitern.
Die Gruppen jedoch, die die Aussage „10-fach ist möglich“ ablehnen, verbessern sich oft nur sehr wenig.

Ich glaube, wir als Gesellschaft könnten mit Künstlicher Intelligenz gerade an einem solchen Ankerpunkt stehen.
Gleichzeitig gibt es so viel Hype, dass ich dem Thema zunächst mit großer Skepsis begegnet bin – und ein Teil dieser Skepsis ist durchaus berechtigt.
Zwischen Begeisterung und Skepsis
Diese Woche hat mir Timon einen spannenden Blogbeitrag von Harper Reed weitergeleitet. Darin beschreibt er seine persönliche Lernreise mit KI-Tools beim Programmieren – in neun Stufen.
Seine Reise beginnt mit dem Nutzen einfacher Prompts und endet bei einem Setup, in dem er 3–5 parallele KI-Sitzungen betreibt, zwischen Terminals wechselt – und der KI beim Coden zusieht.

In seinem Fazit steht sinngemäß:
„Niemand, der den Weg nicht mitgegangen ist, sieht es. Aber die, die ihn gegangen sind, erkennen sich gegenseitig. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus, diskutieren darüber, was das alles am Ende für die Welt bedeutet.“
Glaube ich ihm? Nun – ich schätze Harper als einen erfahrenen Softwareexperten mit einer langen Online-Historie.
Er beschäftigt sich seit jeher mit neuen Technologien, tritt öffentlich zu diesen Themen auf und berät Unternehmen. Zweifellos hat er ein geschäftliches Interesse daran, das Thema als revolutionär darzustellen.
Gleichzeitig wirken seine Beiträge und Verweise – gerade als jemand, der selbst praktisch damit arbeitet – grundsätzlich glaubwürdig und nachvollziehbar.
Auch Henrik Kniberg – den viele aus „PO in a Nutshell“ kennen – zeigt öffentlich, wie sehr sich seine Arbeit mit KI verändert. In einem seiner Posts sieht man ihn entspannt Erdbeeren essen, während eine KI für ihn programmiert.

Und dann dieser Satz:
„Meine Produktivität hat sich fünfmal verdoppelt – das entspricht einem Faktor 32.“
Das klingt beeindruckend – fast zu gut, um wahr zu sein.
Und auch Henrik hat ein geschäftliches Interesse am KI-Hype:
Er ist Mitgründer eines Unternehmens, das eine KI-Agenten-Infrastruktur für Organisationen anbietet.
Gleichzeitig ist er für mich eine vertrauenswürdige Person – jemand, dem ich erst vor zwei Wochen bei der Abschluss-Keynote der Global Scrum Gathering in München live zusehen konnte:
Wie er mithilfe von KI auf seiner Plattform mit echten zahlenden Kunden ein kleines neues Feature programmieren ließ – während er mit dem Publikum über die Zukunft der KI philosophierte.
Gleichzeitig gibt es eine sehr wichtige Spannung im Umgang mit KI:
- Manche Ergebnisse der KI sind nicht hochwertig – selbst bei erfahrenen Anwender:innen. Sie halluziniert, dichtet etwas dazu.
- Oft entsteht eine große Menge mittelmäßiger Inhalte, die Qualität eher verwässern als steigern.
- Gerade in der Content-Welt (z. B. bei Blogs) kann das sogar schaden, wenn Masse statt Klasse dominiert.
- Und: Je weniger ich mich mit einem Thema auskenne, desto größer ist die Begeisterung über erste brauchbare Ergebnisse. Das kann zu hohem Druck, Spannungen und Missverständnissen führen – insbesondere zwischen Fachexperten und ihren Führungskräften.
Gleichzeitig glaube ich: Die KI wird bleiben.
So ähnlich wie das Internet, das in den 90ern überhyped war – und heute dennoch nicht wegzudenken ist.
Und wenn man lernt sie richtig anzuwenden, kann sie eine Vervielfachung der Produktivität bringen. Zumindest sollten wir dieser Möglichkeit eine Chance geben und diesen Ankerpunkt annehmen.
Woran ich arbeite
Ich lerne im Moment viel von Entwickler:innen, wie sie KI in ihrem Alltag nutzen – und experimentiere selbst damit, wie KI im Produkt Management und Führen von Teams und Organisationen unterstützen kann: Zum Beispiel beim Strukturieren von Anforderungen, beim verständlicheren Formulieren, Identifizieren von Problemen aus Nachrichten und beim Slicen.
Spannend sind auch die Möglichkeiten zur schnellen Dokumentation und zur einfacheren Weiterverarbeitung von Input – etwa von vielen Stakeholdern oder Teilnehmenden eines Workshops.
Wenn du das spannend findest oder ähnliche Erfahrungen machst – schreib mir gern. Ich freue mich über den Austausch.